Low-Code/No-Code Ein Leitfaden für Einsteiger

18. September 2024

Die Anwendungsentwicklung war lange Zeit eine Domäne professioneller Entwickler mit tiefgreifenden Programmierkenntnissen. Doch mit dem Aufkommen von Low-Code/No-Code Plattformen ändert sich das rasant. Dieser zukunftsorientierte Ansatz befähigt, Nicht-Programmierer Anwendungen zu erstellen, ohne Code schreiben zu müssen.

So ergibt sich die Möglichkeit, dass Anwender aus verschiedenen Fachbereichen eigene Ideen umsetzen, Prozesse automatisieren und aktiv an der digitalen Transformation eines IT-Systems mitwirken.

Was ist Low-Code/No-Code?

Grundsätzlich sind Low-Code und No-Code das natürliche Ergebnis der stetigen Abstraktion von Software Quellcode.

Exkurs: Evolution von Low-Code & No-Code

Die Entwicklung der Abstraktion

Man kann die Geschichte der Programmierung als eine stetige Bewegung weg von der Maschinensprache und hin zur menschlichen Absichtserklärung betrachten. Jede Stufe baut auf der vorherigen auf und verbirgt deren Komplexität.

  1. Maschinencode: Die grundlegendste Ebene, auf der direkt mit Nullen und Einsen (0 und 1) dem Prozessor Befehle erteilt werden. Dies ist extrem mühsam, fehleranfällig und für Menschen kaum lesbar.
    1. Beispiel: 10110000 01100001
  2. Assembly-Sprache: Die erste Abstraktionsebene. Anstelle von Binärcode werden lesbare Kürzel (Mnemonics) verwendet, die direkt den Maschinenbefehlen entsprechen. Ein "Assembler" übersetzt diese dann in Maschinencode.
    1. Beispiel: MOV AL, 61h
  3. Höhere Programmiersprachen (z. B. C, Pascal): Ein gewaltiger Sprung. Diese Sprachen führten Konzepte wie Variablen, Funktionen und Kontrollstrukturen (Schleifen, Bedingungen) ein, die näher an der menschlichen Denkweise sind. Ein "Compiler" oder "Interpreter" übernimmt die komplexe Übersetzung in Maschinencode.
    1. Beispiel: strcpy(einkaufsliste[3] = malloc(sizeof "Saft"), "Saft");
  4. Objektorientierte & Skriptsprachen (z. B. Java, Python): Diese Sprachen führten weitere Abstraktionen ein, wie z. B. die automatische Speicherverwaltung. Entwickler müssen sich weniger um die Details der Hardware kümmern und können sich stärker auf die Lösungslogik konzentrieren.
    1. Beispiel: einkaufsliste.append("Saft");
  5. Frameworks & Bibliotheken: Anstatt jede Funktionalität von Grund auf neu zu schreiben, stellen Frameworks (wie Django für Python oder React für JavaScript) vorgefertigte Strukturen und Komponenten für wiederkehrende Aufgaben bereit. Der Entwickler ruft nur noch eine Funktion auf, anstatt den gesamten dahinterliegenden Code selbst zu implementieren.

Low-Code/No-Code als die aktuelle Abstraktionsebene

Low-Code- und No-Code-Plattformen sind die Fortsetzung dieser Entwicklung. Sie abstrahieren nicht nur Teile des Codes, sondern den gesamten Prozess des Schreibens von Code.

  • Was wird abstrahiert? Die Notwendigkeit, Syntax zu lernen, Code Zeile für Zeile zu schreiben, die Entwicklungsumgebung zu verwalten und sich um die Infrastruktur zu kümmern.
  • Wie wird es abstrahiert? Durch visuelle Schnittstellen, Drag-and-Drop-Editoren, Konfigurationsmenüs und vorgefertigte Logikbausteine. Der Benutzer beschreibt, was die Anwendung tun soll, und die Plattform kümmert sich darum, wie dies technisch umgesetzt wird.

Das Ergebnis der Abstraktion

Das entstandene Resultat sind Low-Code/No-Code-Plattformen, die es ermöglichen, Anwendungen mit minimalem oder gar keinem Programmieraufwand zu erstellen. Statt Code zu schreiben, werden visuelle Editoren und vorgefertigte Komponenten verwendet, um die Logik und das Design der Anwendung zu definieren. Anstatt komplexe Programmiersprachen zu lernen, nutzen Anwender intuitive Drag-and-Drop-Editoren, vorgefertigte Komponenten und grafische Benutzeroberflächen. Die Plattform generiert anschließend den zugrundeliegenden Code der Anwendung im Hintergrund automatisch.

Low-Code vs. No-Code: Der entscheidende Unterschied

Obwohl die Begriffe oft zusammen genannt werden, richten sie sich an unterschiedliche Zielgruppen und Zwecke:

  • No-Code-Plattformen (NCDP):
    • Zielgruppe: Reine Fachanwender ohne Programmiererfahrung, oft als "Citizen Developer" bezeichnet.
    • Ansatz: Bieten eine rein visuelle Entwicklungsumgebung, meist ohne die Möglichkeit, eigenen Code hinzuzufügen. Der Fokus liegt auf Geschwindigkeit und Einfachheit.
    • Beispiel: Lexaport - Hub ist ein solches No-Code-Werkzeug, das es Fachexperten ermöglicht, selbstständig den "Bauplan" für ihre Datensätze in Form von Formularen und Strukturdefinitionen (JSON-Schema) zu erstellen.
  • Low-Code-Plattformen (LCDP):
    • Zielgruppe: IT-Professionals, Entwickler oder technisch versierte Anwender ("Power User").
    • Ansatz: Beschleunigen die professionelle Entwicklung durch visuelle Tools, erlauben aber gleichzeitig das Hinzufügen von eigenem Code (z.B. für komplexe Logik oder spezifische Schnittstellen). Sie bieten eine höhere Flexibilität als reine No-Code-Lösungen.
    • Beispiel: Die Microsoft Power Platform ist ein bekanntes Beispiel, das Low-Code-Funktionen zur Erstellung unternehmensweiter Anwendungen bietet.

Unternehmerischer Einsatz

Die strategische Implementierung von Low-Code/No-Code-Plattformen bietet Unternehmen ein erhebliches Potenzial zur Effizienzsteigerung und Beschleunigung. Folgend werden Potenziale und Risiken beleuchtet.

Typische Anwendungsfälle

LCNC-Plattformen eignen sich hervorragend für eine Vielzahl von Aufgaben:

Prozessautomatisierung:

Die Automatisierung wiederkehrender Aufgaben wie die Genehmigung von Urlaubsanträgen und noch wichtiger die Automatisierung von system- und unternehmensspezifischen Routinen, die durch Standardsoftware nicht abgedeckt werden.

Erstellung interner Tools:

Entwicklung von maßgeschneiderten Anwendungen wie internen Dashboards zur Überwachung von Kennzahlen. Dieser Ansatz ist besonders wertvoll für agile Umgebungen wie die F&E, in denen sich Kennzahlen stetig ändern und schnelle, iterative Lösungen entscheidend für den Erfolg sind.

Mobile Apps:

Schnelle Entwicklung von Apps als Prototyp für Feldtests. Dieser Ansatz ermöglicht es, eine interne Fallstudie zu erstellen, die Geschäftslogik unter realen Bedingungen zu optimieren und kritische Anforderungen zu identifizieren, bevor in eine aufwändige Eigenentwicklung investiert wird.

Erweiterung von Kernsystemen:

Viele Anbieter wie SAP ermöglichen es, ihre großen ERP-Systeme durch LCNC-Tools wie SAP Build gezielt zu erweitern und anzupassen.

Low-Code: Potenzielle Vorteile für Unternehmen

Low-Code-Plattformen dienen als "Beschleuniger" für IT-Profis und technisch versierte Angestellte, um auch komplexe Anwendungen schneller und effizienter zu entwickeln.

  • Steigerung der Entwicklerproduktivität: Professionelle Entwickler müssen das Rad nicht neu erfinden. Sie nutzen vorgefertigte Komponenten für Standardaufgaben und können sich auf die Implementierung der komplexen, geschäftskritischen Logik konzentrieren.
  • Hohe Flexibilität und Kontrolle: Im Gegensatz zu reinen No-Code-Lösungen erlauben Low-Code-Plattformen jederzeit das Hinzufügen von individuellem Code ("Pro-Code"). Das ermöglicht hochgradig maßgeschneiderte Lösungen und komplexe Anbindungen an bestehende Kernsysteme wie ERP oder CRM.
  • Beschleunigung der digitalen Transformation: Große, unternehmensweite Anwendungen können schneller entwickelt und bereitgestellt werden, was es Organisationen ermöglicht, agiler auf Marktanforderungen zu reagieren.
  • IT-Skalierung: Low-Code dient als "Force Multiplier" (Kraftmultiplikator) für die IT-Abteilung. Ein kleines Team von Entwicklern kann mithilfe einer Low-Code-Plattform die Produktivität eines weitaus größeren Teams erreichen.

No-Code: Potenzielle Vorteile für Unternehmen

No-Code-Plattformen richten sich gezielt an Fachanwender ohne Programmierkenntnisse ("Citizen Developer") und ermöglichen es, Ideen schnell in funktionale Anwendungen zu überführen. Die wesentlichen Vorteile sind:

  • Maximale Entwicklungsgeschwindigkeit: Da keine Code-Kenntnisse erforderlich sind, können einfache Anwendungen und Prototypen in einem Bruchteil der Zeit umgesetzt werden, die eine traditionelle Entwicklung benötigen würde.
  • Befähigung der Fachbereiche: Mitarbeiter mit dem größten Prozesswissen werden in die Lage versetzt, ihre eigenen Werkzeuge zu erstellen. Das steigert die Problemlösungskompetenz im gesamten Unternehmen und entlastet die IT.
  • Sehr steile Lernkurve: Durch rein visuelle, intuitive Oberflächen können Anwender nach kürzester Zeit produktiv werden und erste Ergebnisse erzielen.
  • Zugänglichkeit für alle: Auch kleine Unternehmen oder einzelne Teams können digitale Lösungen schaffen, ohne in teure Softwareentwicklung investieren zu müssen, was den Wettbewerb fördert.

Einschränkungen der Low- / No-Code-Entwicklung

Obwohl Low-Code & No-Code-Plattformen die Digitalisierung enorm beschleunigen, ist es wichtig, ihre Grenzen zu verstehen und die Entwicklung zu überwachen, um damit verbundene Risiken zu vermeiden. Ein unreflektierter Einsatz kann zu neuen Problemen führen:

  • Begrenzte Flexibilität und Individualisierbarkeit: Low- & No-Code-Plattformen operieren innerhalb eines festen Rahmens von Vorlagen und Komponenten. Hochgradig spezifische Anforderungen, die über die Standardfunktionen hinausgehen, können oft nicht umgesetzt werden.
  • Risiko mangelnder User Experience (UX): Fachanwender sind Experten für ihre Prozesse, aber nicht zwangsläufig für die Gestaltung einer guten Benutzeroberfläche. Ohne zentrale Design-Vorgaben können unübersichtliche oder inkonsistente Anwendungen entstehen.
  • Sicherheits- und Governance-Herausforderungen: Wenn Anwendungen dezentral ohne Aufsicht der IT entwickelt werden, können Sicherheitslücken oder Datenschutzprobleme (Schatten-IT) entstehen. Die Kontrolle über den Quellcode und die Datenhaltung liegt beim Plattform-Anbieter, was eine genaue Prüfung erfordert.

Kritische Aspekte, die zu beachten sind

Bei aller Begeisterung ist ein bedachter Einsatz entscheidend. Unternehmen sollten einige Punkte kritisch prüfen:

  • Datenschutz & Sicherheit: Wo werden die Daten gespeichert, insbesondere wenn es sich um personenbezogene oder geschäftskritische Informationen handelt? Der Serverstandort der Plattform ist ein wichtiges Kriterium.
  • Vendor Lock-in: Man begibt sich in die Abhängigkeit eines Plattform-Anbieters. Ein späterer Wechsel kann aufwändig und teuer sein.
  • Begrenzte Individualisierbarkeit: Besonders No-Code-Plattformen bieten nicht den gleichen Grad an Freiheit wie eine individuelle Softwareentwicklung.

Plattformen und Tools

Der Markt für Low-Code/No-Code-Lösungen ist dynamisch und wächst rasant. Die folgende Liste ist daher keine vollständige Übersicht, sondern eine kuratierte Auswahl an etablierten und repräsentativen Werkzeugen, die verschiedene Anwendungsfälle abdecken – von umfassenden Enterprise-Plattformen bis hin zu spezialisierten Automatisierungs-Tools.

  • OutSystems: Umfassende Low-Code-Plattform für Enterprise-Anwendungen.
  • Mendix: Plattform für die Entwicklung von Web- und Mobile-Anwendungen.
  • Microsoft Power Apps: Low-Code-Plattform von Microsoft, integriert mit anderen Microsoft-Produkten.
  • Webflow: No-Code-Plattform für die Erstellung von Webseiten.
  • Zapier: No-Code-Tool zur Automatisierung von Workflows.

Fazit: Ein Werkzeug, kein Wundermittel

Low-Code- und No-Code-Plattformen sind ein mächtiger und unaufhaltsamer Trend, der die Softwareentwicklung nachhaltig verändert. Sie ermöglichen es Unternehmen, schneller und flexibler auf die Anforderungen der Digitalisierung zu reagieren. Der Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch nicht in der unreflektierten Einführung möglichst vieler Tools, sondern in der strategischen Einordnung.

Es geht darum, das richtige Werkzeug für die richtige Aufgabe zu wählen und eine Balance zwischen der Agilität der Fachbereiche und der Stabilität einer durchdachten IT-Architektur zu finden. Werkzeuge wie Lexaport - Hub spielen dabei eine wichtige Rolle, indem sie es den Fachexperten ermöglichen, die Qualität und Struktur ihrer Daten selbst in die Hand zu nehmen und so eine solide Grundlage für alle weiteren digitalen Prozesse zu schaffen.